In alten Zeiten stand dort, wo der Roßbach in den Weißenbach mündet, die alte Glasmühle. Alle Bauern der Umgebung ließen in dieser Mühle ihr Korn mahlen. Die Sippe der Glasmüller wurde wohlhabend und ihr Reichtum war in der Thüngenschen Cent wohlbekannt. Doch eines Tages war das Vermögen des Glasmüllers in höchster Gefahr:
An einem späten stürmischen Winterabend saß der Glasmüller am Wohnzimmertisch unter der schwelenden Petroleumlampe und verbuchte die Anlieferung an Korn und Mehl des verflossenen Tages. Plötzlich pochte es heftig an die verschlossene Haustür. Im Glauben, ein verirrter Wanderer wolle nach dem Weg fragen, öffnete er sorglos die Pforte. Aber o Schreck!
Da drangen auch schon vier, fünf, sechs verwegene Männergestalten mit vermummten, geschwärzten Gesichtern auf den verängstigten Müller ein und schoben ihn in das Wohnzimmer zurück. „Was wollt ihr denn von mir?“, rief schreckensbleich der Hausherr. „Dein Geld!“ brüllte die Sande wie aus einem Munde. Doch der überfallene Mann hatte sich rasch wieder gefasst und entgegnete in einem fast freundlichen Ton: „Wenn ihr nichts anderes von mir wollt, bin ich zufrieden. Geld sollt ihr haben. Setzt euch um diesen Tisch. Ich will gleich die Geldsäcke holen.“ Während die unheimlichen Gestalten sich gerade recht banditenhaft um den Wohnzimmertisch gelümmelt hatten, kehrte auch schon der Müller mit einigen prall gefüllten Geldsäcken beladen in die Stube zurück. Er leerte Sack für Sack auf dem mächtigen Eichentisch aus, und bald türmte sich ein Haufen blanker Gold- und Silberstücke vor den gierigen Augen der Eindringlinge. Nun rief der Müller mit erhobener Stimme:
„Langt zu und nehmt davon so viel wie ihr wollt!“ – Aber o Schreck! Als sie in ihrer Gier hastig nach dem Geldberg griffen, konnten sie sich nicht mehr rühren; wie gefesselt klebten Hände und Arme an dem großen Tisch. Der mit magischen Kräften begabte Glasmüller hatte die dunklen Gestalten „gebannt“. Reglos saßen die verhinderten Räuber um den Tisch und starrten erschrocken auf den Müller. Dieser sagte spitzbübisch lächelnd: „Weil ihr so brav und gesittet dasitzt, will ich euch zuerst einmal zu einem menschenwürdigen Aussehen verhelfen.“ – Er schleppte einen Eimer mit Wasser herbei und eine kräftige Wurzelbürste, riss die falschen Bärte ab und schrubbte die schwarzen Gesichter blank. Die Augen des Müllers wurden immer größer, als sich die wilden Gesellen als seine besten Freunde entpuppten.
„Solche Halunken hab ich zu Freunden, schämt euch, ihr Gauner!“, schrie der Müller. Dann erlöste er die verdutzte Gesellschaft aus seinem Bann. Verschämt und von Reue geplagt, schlich nun eine „Heldengestalt“ nach der anderen davon und ließ sich lange Zeit nicht mehr blicken.
Quelle
Josef Lisiecki: Der Glasmüller als Hypnotiseur | entnommen aus: Landkreis Bad Kissingen (Hrsg.): Sagen und Legenden aus dem Landkreis Bad Kissingen, 1982, S. 224 f. | Nachdruck nur mit Quellangabe gestattet
Josef Lisiecki verweist im o.g. Sagenband zur Herkunft der Sage auf folgende Informationen und Quellen:
- Heimatkundliche Stoffsammlung der Lehrer des Landkreises Brückenau 1959, von Lehrer Adolf Röß, Roßbach.
- Die „Glasmühle“ zwischen Weißenbach und Heiligkreuz brannte 1874 ab; sie wurde nicht mehr aufgebaut.Nur noch ganz wenige Mauerreste sowie der fast zugewachsene Mühlgraben und der „Glasmüllersbrönn“ an der Waldstraße neben dem See erinnern an die vergangene Siedlung. Der Name kommt von Claus-Mühle. Siehe Thüngen-Chronik LL Band I, S. 444. Es stand also hier keine Mühle, die Glas produzierte oder verarbeitete.
Ungefährer Ort der Sage
Weitere Sagen
Sagen aus Zeitlofs
Sagen aus dem Landkreis Bad Kissingen