Südlich von Rothenrain, das 1937 wegen der Errichtung des Truppenübungsplatzes abgesiedelt wurde, breitete sich einst eine Moorlandschaft aus mit Sümpfen, Erdspalten, Birken und Moorpflanzen.
Dort schwebten Irrlichter und Irrwische als bläuliche Flämmchen über der mystischen Wildnis; sie sollen nach altem Volksglauben Seelen herumirrender Geister oder bösartiger Kobolde gewesen sein, die den ahnungslosen Wanderer in die Ausweglosigkeit der schwankenden und schwappenden braunen Masse verlockten.
So ist es gar nicht verwunderlich, dass man auch den Moorkönig erfunden hat, wohl den einzigen „Machthaber“ seiner Art auf der Welt. Das Reich seiner Macht liegt tief unter der Erde, jenes Zauberreich, dessen Eingang von einem Lindwurm bewacht wird und jedem Sterblichen verschlossen ist. Eigenartige Formen haben dort die Birken. Mit Schlangenarmen, Hexenbesen und Lindwurmhälsen kriechen sie am Boden, bevor die Krone sich emporhebt zum Licht.
Des Moorkönigs Reich ist faszinierend schön und seine Macht ist grenzenlos. Pflanzen- und Tierwelt stehen unter seinem Schutz. Wehe dem Menschen, der achtlos oder böswillig eines dieser Pflegebefohlenen vernichtet. Die Rache des Herrschers erreicht ihn. Überirdische Kraft und unterirdische Macht sind dem König der Moore zu Eigen. Sein unterirdisches Reich ist glänzender als menschlicher Verstand zu fassen vermag. Keines der kostbaren Schlösser auf der Erde kommt an Herrlichkeit dem seinen gleich. Eine zauberhafte Pracht umgibt ihn. 99 Moorjungfrauen umschweben ihn, freundlich heiter, jedes Winks gewärtig. Ein scheinbar beneidenswertes Dasein. Doch eine Fessel ist dem Gewaltigen auferlegt, soll seine Macht und sein Reichtum nicht dahinschwinden: Der reiche arme König darf die Sonne niemals sehen. Doch die Sehnsucht zum Licht lässt ihn nicht los. All seine Macht und Pracht können dies Weh nicht heilen. Der Sonnenhunger bringt ihn fast zur Verzweiflung, aber es fehlt die Kraft, die Fesseln und Ketten seines Schicksals zu zerreißen. Was hilft es ihm, dass er eine Stunde nach Sonnenuntergang zur Erde emporsteigen darf, geleitet von seinen 99 Schönen.
Dort tanzen sie ihm den nächtlichen Reigen, liebkosen und küssen ihn und lassen mit dem goldenen Wasser des Moorauges ihre zarten Glieder umspülen. So erscheinen die Feen noch reizvoller und sie hoffen, mit ihrer Schönheit und Anmut ihren Herrn und Gebieter trösten zu können. Doch sie vermögen nicht, sein grenzenloses Leid zu lindern und seine Sonnensehnsucht zu stillen.
Unterdessen arbeiten unaufhörlich seine Sklaven, arme Erdgeborene, die nicht mehr zur Erde zurückkehren können. Die Sucht nach Geld trieb sie einst an den Eingang zum unterirdischen Reich des Königs der Dunkelheit. Ein gewaltiger Lindwurm aber versperrte ihnen den Weg. Sie versanken im moorigen Grund und klammerten sich in ihrer Angst an die Wurzeln der Birken. Da reckten die Birkenkronen flehend ihre Äste zum Himmel, und die Bäume standen wieder auf festem Grund.
Quelle
Josef Lisiecki: Das Zauberreich des Moorkönigs | entnommen aus: Landkreis Bad Kissingen (Hrsg.): Sagen und Legenden aus dem Landkreis Bad Kissingen, 1982, S. 192 ff. | Nachdruck nur mit Quellangabe gestattet
Josef Lisiecki verweist im o.g. Sagenband zur Herkunft der Sage auf folgende Informationen und Quellen: Brückenauer Anzeiger vom 25.01.1979 nach einer Erzählung von Karl Straub um 1924.
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