In früheren Zeiten war ein Abt auch Landesherr und „Zehentherr“ seines Gebietes. Er verkörperte also nicht nur die kirchliche, sondern auch die weltliche Obrigkeit. Somit sprach er auch Recht über das Volk. Ein schönes Recht des „kleinen Mannes“ bestand damals darin, dass jedes junge Paar nach der Hochzeit sich kostenlos im Klosterwald – hier im Wald der Klosterabtei Bildhausen- eine große Fuhre Holz machen durfte.
Die Sage erzählt, wie dabei ein schlauer Ehemann seinen Abt überlistete. Nach der Hochzeit bat dieser im Klosteramt um seine Fuhre „Rechtsholz“, die ihm auch sofort bewilligt wurde. Der junge Mann machte sich auch bald sein Klafter Holz, setzte die Scheite aber nicht zwischen zwei Stickel (Pfähle), wie es üblich ist, sondern zwischen zwei große alte Eichen. Dann begab er sich zum Kloster, um dem Abt zu melden, dass er im Wald fertig sei. Der Abt war an diesem Tag offensichtlich besonders guter Laune und wünschte dem jungen Ehemann und seiner Frau stets eine warme Stube. Durch diese Freundlichkeit des Geistlichen wurde der Mann aber kühn und frug, ob zu seinem Holz auch die „Klafterstickel“ gehörten, zwischen die er seinen Holzstoß gesetzt hatte. „Selbstverständlich gehören die dazu!“, rief der Abt ihm entgegen, er solle die Stützen nur mit aufladen und heimfahren.
Der Pfiffikus küsste dem Abt die Hand, bedankte sich herzlich und begann alsbald die „Stickel“ zu fällen. Diese beiden Eichen ergaben aber Holz für Jahre.
Die Sage schweigt sich darüber aus, ob der Abt jemals von diesem hinterlistigen Streich erfahren hat.
Quelle
Josef Lisiecki: „Gehören die Klafterstickel auch zum Holz?“ | entnommen aus: Landkreis Bad Kissingen (Hrsg.): Sagen und Legenden aus dem Landkreis Bad Kissingen, 1982, S. 75 f. | Nachdruck nur mit Quellangabe gestattet
Josef Lisiecki verweist im o.g. Sagenband zur Herkunft der Sage auf folgende Informationen und Quellen: Geschichten und Sagen des Kissinger Raumes, S. 39, von Oberlehrer Marschall, Großwenkheim 1936.
Ungefährer Ort der Sage
Kloster Maria Bildhausen
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