Fürstabt Friedrich I. von Romrode (1383 – 1395) wollte 1389 neben dem Marktplatz eine Kirche bauen. Aber über Nacht wurde das Baumaterial abgefahren und im Südwesteck der Stadtmauer wieder abgelagert. Man glaubte an einen Streich übermütiger Zecher, denn in jenen Jahren gab es in den Weinbergen einen „vollen Herbst“, der Wein war billig und üppige Trinkgelage dauerten bis tief in die Nacht. Sogar der Nachtwächter konnte oft nicht mehr seines Amtes walten, zudem pflegte man, ihn mit heißen Würsten mundtot zu machen.
Da sich der üble Streich aber wiederholte, stellte der Baumeister Wachen auf, um dem üblen Treiben zu begegnen. Doch diese hatten bald ein merkwürdiges Erlebnis: Um Mitternacht löste sich der Grundstein aus der Erde und eine tiefe Stimme rief beschwörend: „Brüder, kommt alle fort, die Kirche ist ein heiliger Ort!“ Auf diesen Befehl hin setzte sich augenblicklich ein gespenstischer Zug aus Steinquadern und Füllsteinen in Bewegung, angeführt vom mächtigen Grundstein. Mit einem schrecklichen Geräusch aus Poltern, Schleifen, Rollen und Knirschen bog der schemenhafte Zug in die dunkle Gasse ein. Nun folgten Stangen, Gerüstbalken und Bretter wie eine Schlangenprozession hinterher. Die Kalkkübel schlossen sich an, als schwämmen sie auf einem Fluss und schließlich trippelten Meißel, Hämmer und Kellen, Schlegel, Winkel und Lot, Zangen, Äxte und Bauklammern klappernd und klirrend hinterher. Nun riss sich sogar die Bauhütte los, die eine große Kufe mit Wein nach sich zog, und rumpelte mit.
Vor Schreck gelähmt starrten die Wächter auf den Gespensterzug. Am Südwestturm der Stadtmauer machte er halt. Sofort legten sich alle Steine, Stangen und Geräte wie auf einen lautlosen Geisterbefehl in gleicher Ordnung wie am Marktplatz auf die Erde. – Die Turmglocke schlug die erste Stunde. – Schauder und Schrecken kroch über die Rücken des Baumeisters und seiner Wächter.
Bereits in aller Frühe jagte der Amtmann zu Pferd in die fürstäbtliche Residenz zu Fulda. Schweißtriefend berichtete er seinem Landesherrn, von Romrode von den seltsamen nächtlichen Ereignissen zu Hammelburg. Als der Fürstabt in aller Ruhe die schauerliche Mär vernommen hatte, traf er den weisen Entschluss: „Es ist schon richtig, ein Gotteshaus soll Stille um sich haben. Bauen wir also eure Kirche dahin, wo ihr der Friede besser gewährleistet ist, in jenen ruhigen Winkel an der südlichen Stadtmauer.“ – Und so geschah es auch.
Quelle
Josef Lisiecki: Warum die Hammelburger Stadtpfarrkirche an der Stadtmauer steht | entnommen aus: Landkreis Bad Kissingen (Hrsg.): Sagen und Legenden aus dem Landkreis Bad Kissingen, 1982, S. 80 ff. | Nachdruck nur mit Quellangabe gestattet
Josef Lisiecki verweist im o.g. Sagenband zur Herkunft der Sage auf folgende Informationen und Quellen: Geschichten und Sagen des Hammelburger Raumes, S. 16, aus Hammelburger Zeitung 1953: Heimatblätter, 1. Vierteljahr, S. 7.
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