Am „rasigen Weg“ zwischen Diebach und Untereschenbach lag einst ein merkwürdiger, sagenumwobener Stein mit einer schalenartigen Aushöhlung, in der das Wasser selbst bei großer Trockenheit nicht verdunsten wollte. Der Volksmund nannte ihn den „Tränä-Stä“ oder „Warzä-Stä“ (Tränenstein oder Warzenstein). Sein Alter ist vermutlich vorgeschichtlich. Er liegt heute im Hof des Saalecker Schlosses.
Diesem Stein wird eine besondere Heilkraft nachgesagt. Wer an Händen oder Füßen unter Warzen oder Geschwüren litt, benetzte die wunden Glieder mit dem Wunderwasser dieses Schalensteins und sofort stellte sich ein auffälliger Heilerfolg ein.
Der Stein konnte aber noch größere Wunder wirken: Kam z. B. ein Kind in der Schule nicht recht mit, obwohl es sich redlich plagte, so sagten die Diebacher und Untereschenbacher: „Du musst einmal in den Tränenstein schauen!“ Dieser Redewendung liegt eine altüberlieferte Sage zugrunde:
Einer recht ordentlichen und gewissenhaften Frau war der Mann gestorben. Ihr blieb nur ein kleiner Junge, der aber mit Geistesgaben wenig gesegnet war. Dieser Umstand bereitete der Mutter große Sorgen. In ihrem Herzeleid stützte sich die Frau eines Tages auf jenen Stein und flehte zu Gott, er möge doch ihren Sohn von seiner Einfalt befreien. Dabei ergoss sich ein solcher Tränenstrom auf den Stein, dass sich eine Vertiefung bildete und die bitteren Zähren darin stehenblieben.
Als tags darauf das Büblein an diesem Stein vorbeikam, war es über den kleinen Tränensee wohl so überrascht, dass es seine Finger hineintauchte und damit ganz zufällig über seine Stirn strich. In diesem Moment hat sich ein Wunder vollzogen: Der Geist des Kindes war geweckt. Der Bub begann von der Stunde ab seiner Mutter zu helfen, wo er nur konnte, wurde in der Schule tüchtig und strebsam und gab allen Leuten kluge Antworten.
Das Flehen der besorgten Mutter war also erhört worden und der Stein hatte bis auf den heutigen Tag – so jedenfalls die Sage – seine Wunderkraft behalten.
Quelle
Josef Lisiecki: Das Wunderwasser des „Tränä-Stä“ oder „Warzä-Stä“ | entnommen aus: Landkreis Bad Kissingen (Hrsg.): Sagen und Legenden aus dem Landkreis Bad Kissingen, 1982, S. 215 ff. | Nachdruck nur mit Quellangabe gestattet
Josef Lisiecki verweist im o.g. Sagenband zur Herkunft der Sage auf folgende Informationen und Quellen:
- Die Flurdenkmale im Landkreis Bad Kissingen Band 3, S. 342 und 343
- Geschichten und Sagen des Hammelburger Raumes S. 54 nach Hammelburger Zeitung – Heimatblätter 1933, 4. Vierteljahr, S. 49 von H. Kleinschrott
Ungefährer Ort der Sage
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